Chefin wider Willen
Aus der Not geborene Übernahme wird zur Erfolgsgeschichte
Buchhändlerin Sabine Piechaczek | Foto: PR Photo Creativ Studio
Eine typische Unternehmerin? Nein, als die geht Sabine Piechaczek vermutlich nicht durch. Sie kommt aus einer klassischen Beamtenfamilie und war seit ihrer Ausbildung als Buchhändlerin immer im gleichen Laden beschäftigt. Im Gespräch wirkt sie eher ruhig und zurückhaltend. Dass sich dahinter Zielstrebigkeit, Gestaltungswille und Durchsetzungskraft verbergen, offenbart ein Blick auf ihre Geschichte.
Best Practice Nachfolgerin
Unternehmen Buchhandlung Junius, Gelsenkirchen
Nachfolgerin Sabine Piechaczek
Übernahme 1998
Beschäftigte 5
„In die Selbständigkeit bin ich mehr oder weniger reingerutscht. Als mein damaliger Chef Ende der Neunziger Jahre die Buchhandlung übergeben wollte, war ich schon fast 40 Jahre alt. Es wäre bestimmt nicht ganz einfach geworden, woanders eine Stelle zu bekommen. Also spielte die Angst davor, arbeitslos zu werden, auch eine große Rolle“, sagt Sabine Piechaczek rückblickend zu ihrer Motivation.
Gefragt, ob sie die Buchhandlung übernehmen wollte, hatte sie zunächst niemand. Erste Wahl bei Nachfolgesuche war ihr älterer Kollege. Der hätte diesen Schritt aber alleine nie gewagt. Deshalb rät die Buchhändlerin Frauen in einer ähnlichen Situation, die Sache offensiver anzugehen: „Melden Sie in der Firma Interesse an. Sie müssen die Nachfolge ja auch nicht unbedingt alleine machen. Und dann ziehen Sie durchaus externe Unterstützung hinzu.“
Drei, zwei, eins … von der Troika zur alleinigen Chefin
Erst nachdem ihr älterer Kollege bei der Übernahme abgewinkt hatte, kam Sabine Piechaczek mit ins Boot. Doch ganz alleine hätte sie sich den Sprung in die Selbständigkeit nicht zugetraut. Zu groß waren ihre Unsicherheiten in kaufmännische Fragen. Noch größer war allerdings die Sorge, dass die Traditionsbuchhandlung Junius für immer ihre Türen schließen würde.
Und so raufte sie sich 1998 mit dem Kollegen zusammen. Gemeinsam nahmen sie das Heft des Handelns in die Hand und haben das Geschäft zu zweit übernommen. Zunächst in Form einer OHG, bei der der alte Inhaber noch stiller Teilhaber war. Ein paar Jahre später ist der ehemalige Inhaber dann ganz ausgestiegen, 2012 auch ihr ehemaliger Kollege. Seitdem führt Sabine Piechaczek das Geschäft alleine in Eigenregie.
Herausforderungen? „Da muss man halt durch!“
Finanziert hat Sabine Piechaczek den Kaufpreis für das Geschäft durch Ersparnisse. Heute weiß sie, dass es besser gewesen wäre, in dieser Phase externen Rat einzuholen: „Bei der Übernahme war ich in manchen Dingen schon naiv. Wir hatten einen sehr patriarchalischen Chef. Der hatte seinen Steuerberater, der die Firmenübergabe gemanagt hat. Es wäre aber besser gewesen, einen zweiten Steuerberater hinzuzuziehen. Wir haben im Nachhinein festgestellt, dass doch alles sehr zugunsten des Übergebers geregelt wurde und dass da einige Stolpersteine unter den Teppich gekehrt wurden, die wir später aus dem Weg räumen mussten.“
So war nicht klar, dass die Firma gar nicht so gute Zahlen schrieb: „Es hieß immer, es ist alles im grünen Bereich. War es aber nicht. Da wir keine GmbH waren, hieß das ja, dass wir mit unserem ganzen Vermögen haften.“ Die größte Herausforderung für die Buchhändlerin lag nun darin, ihr Geschäft wieder auf solide wirtschaftliche Füße zu stellen. In dieser schwierigen Phase hat sie sich selbst finanziell stark eingeschränkt, aber im Buchladen auch durch konsequentes Umsetzen ihrer Ideen die Wende geschafft.
Das schlingernde Schiff in den sicheren Hafen gelenkt
Das große Plus der etablierten Buchhandlung waren die Kundinnen und Kunden. Die waren mächtig froh, dass ihr Buchladen erhalten blieb. „Es ist einfacher, einen Kundenstamm zu haben und zu halten, als immer wieder neue Kunden zu gewinnen“, weiß die Geschäftsfrau, die ihre Gestaltungsfreiräume klug genutzt hat.
Ich hatte nie vor, ein Unternehmen zu führen. Ich hatte mich hinter einem Entscheider und Chef immer ganz wohl gefühlt. Aber meine persönliche Entscheidungsfreiheit ist schon größer geworden.
So intensivierte Sabine Piechaczek auch gegen anfängliche Widerstände ihr Engagement außerhalb der Öffnungszeiten. Mehr als zwölfmal pro Jahr lädt sie Interessierte zu Lesungen und Events in die Buchhandlung ein. Darüber hinaus tritt die Buchhändlerin selbst nach Feierabend mit Vorträgen, Buchpräsentationen und Büchertischen bei Business Clubs oder Kirchengemeinenden auf: „Es hieß immer, das rechnet sich nicht. Ich habe dann aber festgestellt, dass wir dadurch immer bekannter geworden sind und auch immer eine gute Presse hatten.“ Ein Aufwand, der sich bezahlt gemacht hat. Die Umsätze sind trotz des schweren Marktumfeldes, trotz des Standortes Gelsenkirchen und trotz der großen Konkurrenz durch Amazon und die Mayersche nach oben gegangen.
Heute hat die Buchhandlung Junius als eine von wenigen kleinen Buchhandlungen in Gelsenkirchen überlebt. Mit ihrem Mut und Engagement sorgte Sabine Piechaczek dafür, dass die Firma im Jahr 2018 ihr 80-jähriges Jubiläum feiern konnte. 2020 war sie sogar für den mit 7.000 Euro dotierten Deutschen Buchhandlungspreis nominiert. Eine große Ehre für Buchhandlung und Chefin, auch wenn die große Feier wegen Corona ausblieb. Aber vielleicht passt genau das ja zum Understatement der erfolgreichen Nachfolgerin.