Vom Traum in Weiß

Und wie Corona den Traum fast zum Platzen bringt

Statistiken sind manchmal sehr ernüchternd, wie etwa die Zahl der Hochzeiten in Deutschland, die während der Pandemie in einigen Monaten um 47 Prozent sank. Schlechte Zeiten eben für prunkvolle Traumhochzeiten mit großem Publikum. Das spüren die Anbieterinnen und Anbieter von Hochzeits-Dienstleistungen, Locations, Musik oder Fotografie, wenn die Feier ganz storniert wird oder halt nur im allerkleinsten Kreis stattfinden kann.

Rabia Bahar (24 Jahre) aus Gelsenkirchen trafen die Folgen der Corona-Wellen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. In ihrem Geschäft „Elice Brautmode“ gibt es sämtliche Accessoires für den „schönsten Tag des Lebens“. Verkauft werden hier Prinzessinnen-Träume für Frauen jeden Alters. Stylische Brautkleider, elegante Abendmode und romantische Dinge, damit aus einer Hochzeit auch wirklich eine Traumhochzeit wird. „Ich wollte schon immer so etwas in der Richtung machen. Brautkleider haben mich schon immer angesprochen“, sagt die modebewusste junge Frau, die sich ihren großen Lebenstraum erfüllt hat. Am 1. Mai 2019 übernahm sie ein Geschäft für Brautmoden in der Gelsenkirchener Innenstadt.

Unternehmens-Nachfolgerin Rabia Bahar

Nachfolgerin Rabia Bahar mit dem von ihr neu kreierten Logo für „Elice Brautmoden“

Dabei hatte sie „Elice Brautmode“ schon lange im Blick. Oft hatte sie vor den Schaufenstern des Geschäftes gestanden und war von den traumhaften Kreationen aus Schleifen, Tüll und Seide geradezu entzückt. Das Brautmodengeschäft gab es da schon seit 15 Jahren. Rabia Bahar lernte die Besitzerin persönlich kennen und hat unzählige Male die fließenden Stoffe und eleganten Schnitte für ganz besondere Tage bewundert. Zur Übernahme kam es aber doch durch einen Zufall. Eigentlich suchte Rabia Bahar nur einen Raum, um ihren Geburtstag zu feiern. Bei dieser Gelegenheit erzählte die Besitzerin eher beiläufig, dass sie den Laden bald verkaufen möchte.

Best Practice Nachfolgerin

Unternehmen    Elice Brautmoden
Nachfolgerin      Rabia Bahar
Branche             Braut- und Abendmoden
Übernahme        2019
Beschäftigte       1

Wenig Geld, aber voller Ideen

Gestärkt durch die Unterstützung ihrer Familie, die selbst unternehmerisch tätig ist, ließ sich Rabia Bahar diese Chance nicht entgehen. Doch bevor sie den Vertrag unterschrieb, half sie täglich im Laden mit, um ein Feeling fürs Geschäftliche zu entwickeln. Nach und nach übernahm sie ganze Schichten während der Öffnungszeiten. Die Vorbesitzerin stellte sie den Kundinnen vor und war erleichtert, dass sie ihr Geschäft an jemanden übergeben konnte, die sie gut kannte und die ein gutes Gespür für Brautmoden besaß.

Dann kam Tag X und Rabia Bahar übernahm das Geschäft komplett mit Ausstattung, Nähmaschinen, Schaufensterpuppen und Kleidern. Ermöglicht wurde dies durch die Unterstützung der Familie: „Als ich den Laden übernommen habe, hatte ich keinen Cent beiseitegelegt, ich hatte gar nichts. Meine Familie hat aber gesagt: ‚Das ist dein Traum und wir wissen, dass du das schaffst.‘“ Ihr Bruder hat einen Kredit für sie aufgenommen mit der Maßgabe, dass sie diesen abzahlt, sobald das Geschäft gut läuft.

Die engagierte Neu-Unternehmerin krempelte die Ärmel hoch, renovierte das Ladenlokal nach 15 Jahren ohne Veränderung erst einmal gründlich, kreierte ein neues Logo und hielt nach neuen Kollektionen Ausschau.

Der Virus macht auch dem Traum in Weiß zu schaffen

Nach den ersten verheißungsvollen Monaten zwang Corona die frisch gebackene Ladenbesitzerin dann quasi zur Vollbremsung. Fast alle Bestellungen wurden storniert. Für die junge Unternehmerin bedeutete dies nicht nur einen kräftigen Umsatzrückgang, in der ganzen Branche kam das Geschäft zeitweise zum Erliegen. Im Lockdown war ihr Geschäft sechs Monate lang komplett geschlossen. Und auch als sie wieder öffnen konnte, fanden fast keine Hochzeiten statt.

Ursprünglich – so ihr Finanzplan – wollte sie ihre Schulden in drei bis vier Jahren abbezahlen, doch das zieht sich nun in die Länge. Auch die Idee von der eigenen Kollektion oder dem Ausbau des Geschäftes musste sie aufgrund von Lockdown und Kontaktbeschränkungen erst einmal begraben. Doch Rabia Bahar nimmt die Herausforderungen an: „Ich zieh das solange durch, bis es nicht mehr geht. Denn ich will nicht sagen, ich habe aufgegeben und Corona hat gewonnen.“

Durchhalten und positiv denken

Aufgeben ist also keine Option. Ihre persönlichen Ausgaben hält sie so gering wie möglich, dennoch ist die finanzielle Last enorm: „Ich habe jetzt schon genug Schulden und weiß nicht, ob es klappen wird. Natürlich ist das momentan eine große Verantwortung, aber es trifft ja nicht nur mich, sondern die ganze Branche ist schwierig. Es liegt ja nicht an mir.“

„Ich bin mit nichts gestartet. Jetzt habe ich den Laden. Das ist schon etwas Großes. Und wenn ich sehe, dass die Kundinnen glücklich sind, dann macht mich das auch glücklich.“ Rabia Bahar

Krisenerfahrung hat die junge Unternehmerin nun reichlich gesammelt. Frauen, die ein Geschäft übernehmen möchten, rät sie dennoch ihren Visionen zu folgen. Sich aber auch sehr gut vorzubereiten: “In jedem Fall sollten sie vorher genau das Branchenumfeld recherchieren und sich beispielsweise auch die Google-Bewertungen eines Geschäftes ansehen. Denn diese übernimmt die neue Besitzerin ja auch mit.“

Rabia Bahar kämpft nun um jede einzelne Kundin. Mit individueller Beratung geht sie auf deren Wünsche ein. Schließlich ist die Auswahl des richtigen Kleides und des Zubehörs etwas anderes, als mal eben eine Jeans zu kaufen. Der Traum in Weiß ist für die Braut etwas ganz, ganz Besonderes, der „once in a lifetime“-Moment schlechthin. Akribische Detailarbeit ist da von Rabia Bahar gefordert, denn am „schönsten Tag des Lebens“ darf nichts dem Zufall überlassen bleiben.

Wenn sie mit leuchtenden Augen von ihrer Arbeit, etwa vom Entzücken einer jungen Braut erzählt, die bei der Anprobe zum ersten Mal in den Spiegel blickt, gerät Rabia Bahar – Krise hin oder her – immer wieder selbst ins Schwärmen. Dass die Menschen das Heiraten ganz aufgeben werden, kann sie sich nämlich nicht vorstellen. Und wenn Corona dem Traum in Weiß demnächst nichts mehr anhaben kann, wird sich Rabia Bahar in „Elice Brautmoden“ wieder mit ganzer Kraft ihrer leidenschaftlichen Mission widmen können – aus einem schönen Tag den schönsten zu machen.

Portrait „Best Practice Nachfolgerin: Rabia Bahar“ als PDF