Wenn die Vorbesitzerin nicht loslassen kann…
… und wie Sabine Rau trotz vieler Widerstände doch noch zum eigenen Friseursalon kam
Friseurmeisterin Sabine Rau hat im Jahr 2000 einen Friseurbetrieb in Gelsenkirchen-Horst übernommen.
Der erste Tag war schon sehr obskur, als Sabine Rau an einem Montagmorgen im Jahr 2001 zum ersten Mal in ihrem gerade erworbenen Friseursalon stand.
„Ich war morgens um acht Uhr schon hier, habe aufgeschlossen und gewartet. Um kurz vor zehn kamen die ersten Kundinnen. Die saßen hier und meine beiden Angestellten waren noch nicht da und ich kannte sie auch nicht.“ Wer da keine Panik bekommt und nervös wird, hat Nerven aus Drahtseilen und eine ziemlich skurrile Vorgeschichte hinter sich.
Best Practice Nachfolgerin
Unternehmen Haare Kosmetik Wellness
Nachfolgerin Sabine Rau
Branche Friseursalon
Übernahme 2001
Beschäftigte 3
Ende der 90er Jahre bekam Friseurmeisterin Sabine Rau eine Tochter und merkte schnell, dass sich ein normaler Job als Friseurin nur schwer mit dem neuen Familienleben vereinbaren ließ. Also beschloss sie, sich selbständig zu machen, um mehr Freiheiten zu haben. Doch die Suche nach einem geeigneten Objekt für die Übernahme gestaltete sich schwierig. Viele der Salons, die ihr angeboten wurden, waren runtergewirtschaftet und einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Einzig ein kleiner Betrieb in Gelsenkirchen-Horst gefiel ihr. Das Friseurgeschäft wirkte auf den ersten Blick intakt mit anspruchsvoller Kundschaft und optimal gelegen. Die junge Mutter wohnte nur einen Kilometer entfernt und auch Kindergarten und Grundschule waren ganz nah.
„Diese Übernahme war sehr eigenartig“
Also begann sie mit den Übergabegesprächen, die – vorsichtig formuliert – recht ungewöhnlich verliefen. Schon als die Vorbesitzerin den Kaufpreis nannte, fiel Sabine Rau fast die Schere aus der Hand: „Sie war eine gute Geschäftsfrau und wollte sehr, sehr viel Geld haben, viel zu viel. Für die Summe hätte ich vermutlich auch einen neuen Salon aufbauen können, doch dann hätte ich keine Kunden gehabt ab dem ersten Tag.“ So entschied sich Sabine Rau trotz des hohen Kaufpreises für den Salon mit der so günstigen Lage.
Das Verhalten ihrer Vorgängerin blieb aber weiterhin äußerst merkwürdig und weitete sich immer mehr zum Problem aus. Termine zur Besichtigung wurden von der Vorbesitzerin kurzfristig abgesagt oder verschoben: „Meine Vorgängerin hat es mir sehr schwer gemacht. Sie sagte immer: ‚Kommen Sie dann und dann vorbei!‘ Wenn ich da war, wurde ich schon auf der Straße abgefangen und sie hat mich nicht reingelassen. So ging das immer wieder. Als wir einen Termin hatten, damit ich die Angestellten kennenlernen sollte, kam ich an und sie sagte: ‚Die Mitarbeiterinnen haben Feierabend und sind schon weg‘.“ So kam es, dass die Neuunternehmerin vor der Übernahme nicht einmal mit ihren künftigen Angestellten sprechen konnte. Auch die Inventur, die sie gemeinsam mit der Vorbesitzerin machen wollte, fiel ins Wasser. „Ich war zum verabredeten Zeitpunkt da, aber sie nicht. Dann hieß es, sie habe die Inventur schon fertig.“
Sabine Rau zur Vereinbarkeit ihrer Selbständigkeit mit der Familie: „Ich wurde viel angefeindet als schlechte Mutter. Aber nur wenn man selber glücklich ist, ist man auch eine gute Mutter. Meiner Tochter hat es nicht geschadet. Sie ist heute 23 hat ein 1.6er Abi gemacht und studiert Medizin.“
Bei allem Ärger über dieses seltsame Gebaren hat Sabine Rau durchaus etwas Verständnis: „Sie hatte den Laden Anfang der 60er Jahre aufgebaut und wollte ihn nicht wirklich abgeben. Ihr Mann war damals krank geworden und hat sie wohl zum Verkauf gedrängt. So war es zwar klar, dass sie mir den Salon verkaufen wollte, aber irgendwie dann doch nicht. Sie konnte einfach nicht loslassen.“ Rund zehn Jahre lang hatte die Vorbesitzerin insgesamt nach einer Nachfolgerin gesucht. Schließlich ist es für niemanden leicht, ein Geschäft abzugeben, das man selbst in liebevoller Kleinarbeit aufgebaut hat und damit gleichzeitig das Ende der eigenen Berufstätigkeit einzuleiten.
Sabine Rau möchte genau das einmal besser machen, wenn sie sich in fünf Jahren zur Ruhe setzt. Zwar hat sie noch keine offiziellen Gespräche geführt, aber eine ihrer langjährigen Angestellten steht als Friseurmeisterin für die Übernahme bereit.
In den ersten Jahren kein Geld verdient
Bei der Übernahme von Sabine Rau ging am Ende doch noch alles gut. Sowohl am ersten Arbeitstag als ihre beiden Beschäftigten pünktlich um 10 Uhr im Salon erschienen, als auch im weiteren Verlauf ihrer Selbständigkeit: „Mit meinen Angestellten habe ich mich dann später gut verstanden. Und auch die Übernahme habe ich nie bereut. Ich hatte zwar eine Menge Schulden und dann auch nicht so viel verdient. Aber ich habe die Tür aufgeschlossen und hatte den Laden voll.“
„Liebe geht da immer durch das Portemonnaie. Denn als Selbständige muss man ja auch mal Durststrecken überstehen und da ist es gut, wenn man einen starken Partner an der Seite hat. Ich bin schon glücklich, aber man darf nicht an Reichtümer denken, sondern muss für sich dieses Gefühl der Freiheit genießen.“ Sabine Rau
Bei allen Schwierigkeiten überwiegen deshalb für Sabine Rau heute die positiven Aspekte der Selbständigkeit: „Ich hätte keine Hausfrau sein können. Ich muss immer etwas machen, ich brauche eine Aufgabe und nicht nur Haushalt. Man ist zwar auf Kunden und Angestellte angewiesen, aber trotzdem ist dieses Gefühl, selbständig und seine eigene Chefin zu sein, machen zu können, was man will und eigene Entscheidungen treffen zu können, ein wunderbares Gefühl. Das macht schon sehr zufrieden“, sagt die engagierte Friseurmeisterin und lacht: „Heute nach über 20 Jahren habe ich ja meine Freiheit.“
Was man an dieser Geschichte sieht: Eine Unternehmensnachfolge ist für beide Seiten eine Herausforderung. Für einen erfolgreichen Übernahmeprozess ist Loslassen auf der einen Seite genauso wichtig wie Hartnäckigkeit auf der anderen Seite. Und die hat Sabine Rau seit ihrem denkwürdigen ersten Tag im Jahr 2000 mehr als nur einmal bewiesen.